Tauchen mit Handicap: mein Weg
Was machst du, wenn du plötzlich eine Diagnose bekommst, die dich zwar nicht umbringt, dich aber möglicherweise einschränkt, die dir Angst macht, die dein Leben verändert? Du kannst den Kopf in den Sand stecken. Du kannst aber auch den Kopf heben und laut rausschreien: Jetzt erst recht!
"Entweder wir finden einen Weg oder wir schaffen einen." (Hannibal)
Da habe ich kaum meinen Blog Tauchen mit Handicap angekündigt, kommen Nachrichten ohne Ende von euch. Ganz offensichtlich bin ich nicht die Einzige, die sich für das Tauchen mit (und selbstverständlich auch ohne) Handicap interessiert.
Ich bin total überwältigt, wie viel Bestärkung ich von euch bekommen habe. Mails von Tauchern mit und ohne Handicap, von neugierigen Lesern, von Freuden, von Menschen von überall her. Daaaaanke! Was für ein Motivationsschub!
Jetzt geht’s also wirklich los. Erstmal mit einem kleinen Auszug aus meiner eigenen Geschichte. Also wirklich nur einem kleinen. Die ersten 46 Lebensjahre erspare ich euch….
Frühsommer 2017: Nach längerer Pause hatte ich gerade wieder das Tauchen für mich entdeckt, bin zum Üben durchs Schwimmbad geblubbert, habe einen Auffrischungskurs belegt, mich zur nächsten Stufe ausbilden lassen, einen traumhaften Tauchurlaub mit meiner langjährigen Freundin geplant.
Tauchen ohne Handicap - der Plan
Leidenschaftliche Taucherin, Reisebegeisterte – genau wie ich. Ohne meine Familie, ohne Kids, ohne Verantwortung für andere. Mal nur für mich. Im Job lief es bestens, sodass ich mir diese unbeschwerte Auszeit in meinem geliebten Element leisten konnte und wollte.
Eine Diagnose verändert vieles. Aber nicht alles!
Mit dem, was dann kam, hatte ich nicht gerechnet. Ein kleiner OP-Eingriff, Arthrose im Knie, Knorpelstücke aus dem Gelenk geholt. Doch darum geht es hier gar nicht. Sondern um das, was folgte: die Arme gefühlt im Ameisenhaufen, heftige Stromschläge und Zuckungen, ein Gefühl wie 220-Volt, die durch den Körper jagen, Riesengänsehaut, eher schon Schwanhaut, eisige Schauer, die über den Rücken laufen, Herzrasen.
Gehen ging plötzlich nicht mehr so gut.
Das Knie erholte sich bestens während sich der Rest meines Körpers zunehmend anfühlte, als hätte ich einen immer laufenden Vibrator eingebaut. Gehen ging plötzlich auch nicht mehr so gut. Wackelig, wie auf Watte. Und ständig viel mir was aus der Hand. Was war los?
Okay, ich habe versprochen, es kurz zu machen. Den Umweg bis zur finalen Diagnose kürze ich ab. Wer selbst betroffen ist, weiß eh, was jetzt kommt: Multiple Sklerose.
"Ich möchte tauchen, kann ich das machen?"
Das war eine meiner ersten Frage nach der Diagnose. Schließlich stand der Reiseplan, die Tickets waren gebucht, die Vorfreude enorm. Im November sollte es nach Bali gehen. Mit MS? Kann ich das?
Was, wenn die Krankheit schnell voranschreitet? Geht das mit den Medikamenten überhaupt? Wie soll ich mit der Hitze und dem „Stress“ der langen Anreise klarkommen? Löst das nicht gleich wieder was aus? Die Antwort meines Neurologen war kurz und knapp. Und sehr motivierend: „Schränken Sie sich nicht ein.“
Tauchen mit MS. Geht!
Und somit habe ich seither – im Rahmen meiner Möglichkeiten – wunderbare Trips in die faszinierende Unterwasserwelt erleben dürfen. Das geht nicht immer ganz so einfach. Diverse Körperteile quittieren mir nach und nach den Dienst, was zu meinem MS-Paket irgendwer noch obendrauf gepackt hat. Trotzdem! Heute weiß ich: Du kannst alles schaffen!
Eingeschränkt? Nicht mit mir!
Regelmäßige Untersuchungen, Arztbesuche, Physiotherapie, ständig Blutabnahmen, starke Medikamente, zeitweise Haarausfall, weitere MS-Schübe, Kortison usw. gehören jetzt halt zu meinem Alltag.
Die Sorge, Angst und Traurigkeit darüber, mit dem Fortschreiten meiner körperlichen Einschränkungen künftig vielleicht gar nicht mehr „abtauchen“ zu können, habe ich inzwischen abgelegt. Das Schlüsselerlebnis dazu hatte ich während meiner ersten Tauchsafari im fantastischen Roten Meer in Ägypten.
Mein „Aha“-Erlebnis
November 2018, eineinhalb Jahre nach meiner MS-Diagnose: Unser Boot war festgemacht an einem herrlichen Tauchspot, direkt daneben ein weiteres Safarischiff.
Um uns herum fast nichts als mein geliebtes tiefblaues Meer, hier und da ein paar ockerfarbene Felsen, angenehme Stille, am Himmel lachte die Sonne, direkt am Schiff drehte ein neugieriger Longimanus einsam seine Runden. Eine sehr chillige Mittagspause.
Tauchen trotz Rollstuhl? Nichts ist unmöglich!
Vom Sonnendeck beobachtete ich auf dem Nachbarschiff einen Mann auf dem Tauchdeck. Ein Taucher, der sich ganz alleine und selbstständig auf einen Tauchgang vorbereitete: Neoprenanzug und BCD an, Flasche aufgedreht, (Hand-)Flossen und Maske bereit, ab auf’s Zodiac (Beiboot). Der Taucher saß im Rollstuhl. Und in diesem Moment begriff ich: „Yes, I can!“
Ich schrei es in die Welt hinaus: Jetzt erst recht!
Nicht nur dieser Taucher machte etwas, das viele einem gehbehinderten Menschen eher nicht zutrauen würden. Ganz ehrlich: ich auch nicht. Warum eigentlich? Weil wir es nicht besser wissen! Weil wir so wenig darüber erfahren. Weil Menschen mit Handicap, außer vielleicht zu Zeiten der „hinten angestellten“ Paralympics, in den Medien total unterpräsentiert sind. Daran werde ich mit meinem kleinen Blog wohl kaum etwas ändern. Aber irgendwie fühle ich mich getrieben, es dennoch zu tun. „Kleiner Tropfen…“ und so.
Und weiter geht die Reise
Ich freue mich schon so sehr darauf, tolle Menschen kennenzulernen, zu interviewen und euch in diesem Blog vorzustellen: Taucher mit Handicap, Menschen, die ihnen dabei helfen, ihre Träume zu leben, engagierte Tauchschulen, Tauchlehrer und Guides. Ich selbst möchte so viel wie möglich übers Tauchen mit Handicap erfahren, aufsaugen, ausprobieren. Ich will wissen, wo was wie möglich ist – und dann darüber schreiben und es mit euch teilen!
Eure Nicole