· 

Tauchen mit Querschnitt

Kommunikation ist der Schlüssel für ein inklusives Miteinander

Tappen wir nicht alle in dieselbe Falle? Wie reagierst du, wenn du auf jemanden mit einer – sichtbar – körperlichen Behinderung triffst, der scheinbar Hilfe braucht, um Barrieren zu überwinden? Also zum Beispiel ein Rollifahrer im Schwimmbad, der sich mühevoll ins Wasser hievt. Oder eine sehbehinderte Person, die mit ihrem Langstock etlichen - für dich sichtbaren – Hindernissen ausweichen muss.

Wie ich darüber denke und warum ich genau diese beiden Beispiele hier wähle, erzähle ich euch noch. Aber erstmal stelle ich euch eine tolle junge Frau vor, mit der ich neulich einen ganzen Tag im Montemare in Rheinbach verbringen durfte, zum Schnuppertauchen und gegenseitigen „Beschnuppern“ für mögliche gemeinsame Projekte mit Henning Fahrenholz von Divetogether.


Pia Pourmoussavi, 33 Jahre, lebt und arbeitet in Hamburg, liebt Herausforderungen, vor allem sportliche. Sie schwimmt gerne und oft, ist in ihrer Freizeit am liebsten mit ihrem Handbike unterwegs. Seit einem Unfall vor 10 Jahren ist sie von der Brust abwärts gelähmt. Unabhängig zu sein ist ihr super wichtig und ihre eigene, nach ihrem Unfall Stück für Stück erarbeitete Unabhängigkeit verteidigt sie auch vehement – was ich selbst im Laufe unseres Tauchtages immer wieder beobachte. 

„Wow, was für eine Erscheinung“, denke ich, als ich Pia zum ersten Mal begegne. Pia scheint wirklich irgendwie zu scheinen, denn sie strahlt, versprüht nur gute „Vibes“ und ist voller Vorfreude darauf, mit uns schwerelos durchs warme Tauchbecken zu schweben. Aber das dauert….

Inklusives Tauchen ist kein Sport für Leute, denen es darum geht, Trophäen zu sammeln, möglichst schneller als andere zu sein, höher, weiter, besser, und nein, auch nicht tiefer, prickelnder, riskanter. Beim Tauchen mit Handicap spielen Zeit, Geduld und Empathie die Hauptrollen. Auch eine gute Vorbereitung ist wichtig, was allerdings fürs Tauchen allgemein unerlässlich und mitunter lebensnotwendig ist. 

Zeit, Geduld, Empathie - Voraussetzung für inklusives Tauchen

Konkret heißt das heute für uns: Tauchzeug vorbereiten, montieren, sich selbst umziehen, fertig machen für Tauchgang Nummer 1. Bis dahin ist alles so, wie Taucher das kennen. Jetzt kommt Pia ins Spiel. Wir testen erstmal, welcher Neoprenanzug am besten passt. Selbständig schiebt Pia ihre Beine in die engen Neoprenschläuche, weiter geht es gemeinsam: Henning umgreift Pia von vorne, zieht sie hoch und hält sie so lange, bis ich den Neoprenanzug so weit wie möglich über ihre Hüfte ziehen kann. Den Rest übernimmt Pia wieder alleine. Falls du weißt, wie schwierig es sein kann, sich in so ein enganliegendes, aber wichtiges und schützendes Neoprenteil reinzuquetschen, dann kannst du dir vielleicht vorstellen, wie herausfordernd das für Taucher mit Handicap und ihre Helfer ist. Wir spielen das ganze Spiel noch ein weiteres Mal mit einer anderen Anzugsgröße, denn das Ding muss passen.

Neoprenanzug - unerlässlicher Schutz vor Kälte und Verletzungen

Warum überhaupt ein Neoprenanzug, wo das Wasser im Taucherbecken doch wohlige 28°C warm ist? Zum einen, weil Menschen mit einer Querschnittlähmung viel schneller auskühlen, sie genau das aber in den gelähmten Körperteilen nicht spüren. Zum anderen, um Verletzungen zu vermeiden, falls gelähmte Taucher mit den Beinen oder Füßen irgendwo anrempeln. Sie merken es nicht. 

Spätestens jetzt ist uns warm, sehr warm. Denn auch ich stecke natürlich längst in meinem Anzug. Also ab ins Wasser. Aber wie? Es gibt verschiedene Wege für Taucher mit Handicap, ins Wasser zu kommen. Dazu werde ich demnächst einen extra Beitrag schreiben. Pia entscheidet sich für die Variante, vom Beckenrand aus sitzend ins Wasser zu gleiten und im Wasser das Tauchequipment anzulegen. Sie hat extra ein Kissen mitgebracht, das wir zu ihrem Schutz am Beckenrand deponieren. Jetzt wird es spannend. Wir hieven Pia nicht aus dem Rollstuhl! Pia kann das alleine. Wo sie Hilfe braucht, fordert sie diese ein. Ich etwa schiebe ihren Rolli zur Seite, als sie sich das Kissen am Beckenrand gesetzt hat. „Nicole, kannst du mich bitte kurz abstützen, damit ich nicht nach hinten kippe“, ist ihre klare Ansage an mich. Will ich zu sehr eingreifen und unterstützen, signalisiert sie lächelnd, freundlich, aber sehr bestimmt ein „Nein!“ 

Taucher mit Behinderung können vieles selbst. Respektiere das.

Kommunikation ist der Schlüssel, um Menschen mit Behinderung auf Augenhöhe zu begegnen! Besser gesagt: damit Menschen mit und ohne Handicap auf Augenhöhe miteinander kommunizieren. Genau darum geht es mir heute mit diesem Beitrag. Das ist für mich die wichtigste Message überhaupt, die du auch beim PADI Adaptive Support bzw. Techniques Diver Course lernst (siehe Blog-Beitrag): Helfe nie ungefragt! Menschen mit körperlichen Einschränkungen brauchen ihre Unabhängigkeit, also schränke sie nicht ein! Jeder ist anders, manche Menschen benötigen oder wollen mehr Unterstützung, andere weniger. Redet miteinander, macht klare Zeichen aus und respektiert diese. Einfach vorher miteinander sprechen. 

Wichtig beim Handicaptauchen: Helfe nie ungefragt!

Es ist diese Falle, in die wir doch alle irgendwie tappen. Du möchtest helfen, meinst es gut, hast aber nicht bedacht, dass die Person das vielleicht gar nicht will. Jetzt komme ich also auf meine eingangs gestellte Frage zurück: Wie reagierst du, wenn du auf jemanden mit einer – sichtbar – körperlichen Behinderung triffst, der scheinbar Hilfe braucht, um Barrieren zu überwinden? Der Rollifahrer im Schwimmbad kommt wahrscheinlich ganz gut ohne deine Hilfe klar, schließlich lebt er mit seiner Behinderung und arrangiert sich. Und falls er Unterstützung braucht, wird er diese kommunizieren. Auch für die sehbehinderte Person musst du nicht alle Hindernisse aus dem Weg kehren, damit sie nirgends anstößt. Dafür hat sie ihre Methode, ihre Hilfsmittel, z.B. einen Langstock und auch diese Person will wahrscheinlich so autonom wie möglich ihren Weg gehen. Ist sie aber sichtbar in einer misslichen Lage oder kommuniziert, dass sie Hilfe benötigt, darfst du gerne helfen.

Helfen, wo Hilfe gefragt und notwendig ist

Beim Tauchen mit Behinderung geht es genau darum: helfen, wo deine Hilfe gefragt und notwendig ist. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger. Wir haben es ja auch nicht anders gemacht: beim Adaptive Support Kurs, also dem Buddy-Kurs für Taucher, die Tauchern mit Behinderung helfen möchten. Beispiel Simulation blinder Schnuppertaucher: den musst du nicht Hand in Hand am Becken entlangführen, schlimmstenfalls Hand in Hand. Du musst Schnupperer mit Gehbehinderung auch nicht ins Wasser tragen. Ich sehe immer wieder Bilder und Videos auf Social-Media von engagierten Tauchschulen, die genau das – wie eben anfangs auch wir, weil wir es nicht besser wussten – so durchziehen. Wenn ich in Zukunft als Tauchlehrerin genau diese Kurse gebe, was ja mein erklärtes Ziel ist, werde ich den Fokus darauf legen, diesen einen Schritt weiter zu denken: miteinander reden und klären, welche Hilfe wo und in welcher Form erwünscht und notwendig ist, denn das ist der Schlüssel. 

Pia: "Besonder gut fand ich Den offenen Austausch, alles ansprechen zu können.“

Zurück nach Rheinbach, wo wir bis spät am Abend miteinander und voneinander lernen. Unter Wasser macht es uns Pia leicht. Sie fühlt sich ganz offensichtlich sehr wohl, bewegt sich mit ihren Armen gut vorwärts und nach einer Weile klappt auch der Druckausgleich so gut, dass wir uns etwas tiefer wagen. Während sie an der Seite von Instruktor Henning durchs Becken gleitet, habe ich stets ein Auge darauf, dass sie nicht absinkt. Wir nutzen den Tag, beschnuppern uns beim Mittagessen, tauschen uns aus, reden über Projekte und drehen am Abend eine weitere Tauchrunde durchs Becken, quasi ein Nachttauchgang im Montemare, sehr spaßig.

 

Am Ende sind wir alle sehr, sehr müde, erschöpft, aber mit diesem spezifischen After-Dive-Smile im Gesicht. Für Pia war das Schnuppertauchen „schön, eine super Erfahrung außerhalb des Rollis und unter Wasser unterwegs zu sein“. Und ihre Antwort auf meine Frage, was sie als besonders gut empfunden habe, rundet diesen Beitrag perfekt ab: „Den offenen Austausch, alles ansprechen zu können.“ Kommunikation ist der Schlüssel – und das gilt für alle Taucher, ob mit oder ohne Behinderung!


Kommentar schreiben

Kommentare: 0