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Taucher sollten fit sein - so trainiere ich

Taucher sollten fit sein, zumindest eben, so gut das geht. Es gibt zwar auch Helfer, aber ich selbst versuche das, was (noch) geht, selbst zu schaffen. Damit ich die schwere Flasche samt einigen Kilos Blei und den Rest der Ausrüstung nicht immer herumschleppen muss, packe ich alles in mein "Wagerl". Damit haben mir ja meine lieben Tauchfreunde vom EC-Diving-Club überrascht, als Dankeschön für meinen Einsatz im Verein für das Tauchen mit Handicap. Ich liebe mein Wagerl!  

Aber um das Wagerl als ideale, äußerst rückenfreundliche Transporthilfe geht's heute gar nicht. Sondern darum, wie ich mit oder gerade trotz MS meine Muskulatur und Kraft erhalte. Schließlich brauche ich die, nicht nur zum Tauchen. Aber eben auch dafür. Es ist immer doof, wenn dir unter Wasser die anderen davon tauchen, weil sie entweder die besseren Flossen, die bessere Fitness, stärkere Beinmuskeln - oder alles zusammen haben. Ist nur ein Beispiel. Oder wenn Max, der beidseitig unterschenkelamputiert ist, völlig entspannt an dir vorbeischwimmt. Okay, er ist zum einen Extremsportler und zum anderen gerade wegen seiner fehlenden Füße bestens in den Armen trainiert. Die machen das locker wett. Aber zurück zum Thema: EMS-Training mit MS. Geht das überhaupt?

EMS-Training mit Multipler Sklerose

NEIN! So heißt es bei der DMSG (Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft), die MS als Kontraindikation fürs EMS-Training nennt. EMS steht für Elektro-Muskel-Stimulation. Bei der Fitnesstraining-Methode geht es darum, die Muskulatur mittels elektrischer Impulse gezielt von außen anzusteuern und zu stimulieren. Während also die DMSG klar vom EMS-Training bei MS abrät, kann ich nur Gutes darüber berichten. Und nicht nur ich - auch Siggi, dessen Story ich euch in BLog#23 vorgestellt habe, macht regelmäßig und begeistert EMS-Training. Er ist ja Rollifahrer und macht die Übungen im Sitzen - auch das geht!

Ein bisschen Sport geht immer

Bevor mein Körper mir zunehmend Grenzen aufgezeigt hat, war ich eigentlich recht sportlich unterwegs. „Recht“ sportlich deshalb, weil ich immer die Langsamste, die Allerletzte und diejenige war, die am ehesten schweißgebadet mit herabhängender Zunge den anderen hinterher gehechtet ist. Ob beim Wandern oder Mountainbiken, schon früher in der Schule wurde ich bei den mir sehr verhassten „Bundesjugendspielen“ gerne mal überrundet. Wie peinlich. Und selbst beim Schwimmen konnte ich nicht unbedingt punkten, zumindest nicht, wenn es um Schnelligkeit ging. 

Jünger und fitter.... und gesünder

Trotzdem habe ich es geliebt, mich sportlich zu verausgaben. War seit meinem 16. Lebensjahr fast immer in einem Fitness-Studio, selbst als ich im Ausland gelebt habe. Ja, ich bin meinem Mann zuliebe sogar – trotz exorbitanter Höhenangst – über den Klettersteig am Watzmann gerobbt. Wir sind gemeinsam über die Alpen und Dolomiten von München bis zum Gardasee geradelt – ohne Gepäcktransfer, versteht sich. Und noch ein paar Jahre zuvor, also um einiges jünger und gesünder, bin ich über Höhenwege durch die peruanischen Anden bis zum Machu Picchu gelaufen. Auch das ohne Gepäckschlepperei und Führung durch die einheimischen Träger. Nein, damals durfte man das noch selbst. 

Was bin ich froh, all diese wunderbaren Erinnerungen tief in mir drinnen zu besitzen. Die bleiben – für immer. Meine Fitness, also die wenige, die ich seinerzeit hatte, schwindet hingegen zunehmend dahin. Und das nicht erst seit meiner MS-Diagnose im Frühjahr 2017. Nein, davor hatte ich ja leider einige körperliche Gebrechen, die mich bis heute zusätzlich einschränken: Sprunggelenk, Knie, Rücken, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Daher konnte ich mich schon einige Zeit nicht mehr so bewegen, wie ich das wollte. Statt Fitness-Studio mit Krafttraining, Spinning und Zumba waren mehrere Operationen und Rehas angesagt. Es folgten gezielt Rückentraining, Rehasport, Walking und letztlich dann immerhin Spazierengehen. 

Da willst du endlich durchstarten - und dann kommt Corona

Aber irgendwann hat mir das dann doch nicht mehr gereicht, ich wollte unbedingt wieder zurück ins Sport-Studio – auch mit MS! Da war immer was los, ich hatte mich gerne verabredet und am liebsten zusammen mit Freundinnen gesportelt. Nach der letzten großen Knie-OP mit anschließender Reha wollte ich wieder „angreifen“. Tja, dann kam erstmal Corona. Und da habe ich mich natürlich nicht getraut, in ein riesiges Sportstudio zu gehen, anfangs noch ungeimpft und voller Sorge, wie wohl meine MS auf eine Corona-Infektion reagieren würde. Als die ersten Sportstudios unter den Hygienevorschriften wieder öffnen durften, war mir das trotzdem noch zu heikel. Zu viele Menschen in geschlossenen Räumen. 

Die Lösung landete im Briefkasten

Und genau da flatterte mir ganz zufällig ein Werbeprospekt für ein Mini-Studio ins Haus, das EMS anbietet. Nur 20 Minuten Training pro Woche – yeah, das kommt mir ja sehr entgegen, da ich ja so viele andere Termine wie Physiotherapie, Arztbesuche usw. zusätzlich zu meiner Arbeit habe. Auf dem Flyer stand: persönliches Training für maximal zwei Sportler. Noch besser, also keine Menschenmassen im Studio! Das war mir in der Corona-Hochphase ziemlich wichtig. Gelenkschonend – passt auch für mich. Individuell gesteuert entsprechend der körperlichen Verfassung und je nach gesundheitlichen Einschränkungen. Und alle Trainer und natürlich auch die Trainierinnen sind ausgebildet im Fitness- und Gesundheitsbereich. Das wäre dann ja ideal für mich.

Wofür steht EMS?

EMS steht für Elektro-Muskel-Stimulation – ein System, das aus der medizinischen Reha und der Astronautik stammt. Dabei werden die Muskeln mittels elektrischer Impulse gezielt von außen gesteuert und stimuliert. Das sind keine heftigen Stromschläge, sondern eher leichtes bis stärkeres Kribbeln. Ja, bei dem Wort „Kribbeln“ zucken wir MSler ja gerne mal. Daher habe ich zuallererst meine Neurologin gefragt, ob ein solches Training für mich überhaupt in Frage komme. Interessanterweise war ich wohl nicht die Einzige, die mit dieser Frage zu ihr kam, wie meine Ärztin sagte. Letztlich habe ich von ihr grünes Licht bekommen: „Sie können das machen, sollten aber unbedingt darauf achten, dass Sie sich nicht überanstrengen.“  

Meine Ärztin: "Überanstrengen Sie sich nicht."

Ach, nö, das wird mir schon nicht passieren…. Und so habe ich mich zu einem Probetraining angemeldet. Natürlich hab ich gleich die Karten auf den Tisch gelegt und der Trainerin sowohl von meinen Knie- und Rückenproblemen als auch von meiner MS-Erkrankung erzählt. Und von dem Warnhinweis meiner Neurologin, ich dürfe mich nicht überanstrengen. Und das Ende vom Lied? Ich bin jetzt seit fast zwei Jahren dabei und freue mich jede Woche auf das Training. Die 20 Minuten sind wirklich zu schaffen, ein bisschen Muskelkater darf ruhig auch mal sein. 

So läuft das EMS-Training ab

Du schlüpfst in wenig schmeichelhafte, enganliegende Spezialkleidung, die zuvor mit Wasser besprüht wird – damit die Impulse auch schön zu den Muskeln weitergeleitet werden. Angeschlossen an das Trainingsgerät geht es dann los. Erstmal „eingrooven“, also Muskeln anspannen und warten, bis das Kribbeln losgeht. Und dann rechtzeitig „Stopp“ sagen, wenn es zu doll wird. Schließlich wird auch während der Übungen noch weiter aufgedreht – wenn du das willst. Der Trainer oder die Trainerin macht die Übungen immer genau vor, korrigiert, wenn du was falsch machst, rückt verrutschte Teile wieder an den richtigen Platz und motiviert. Ganz besonders gerne drehen sie am Rad – das erhöht den Impuls, und zwar entweder komplett oder an den ausgewählten Stellen, die sich separat ansteuern lassen.  

Stehen ist kein Muss! EMS-Training geht auch im Sitzen

Du kannst variieren, wenn du eine Übung nicht so machen kannst, wie dein Trainer es dir zeigt. Es gibt immer auch Alternativen – und selbst Gehbehinderte können im Sitzen wunderbar am EMS-Training teilnehmen. Die Trainier sind schließlich dazu ausgebildet, die Übungen für Menschen mit körperlichen Einschränkungen individuell anzupassen. Mir tut das EMS-Training jedenfalls absolut gut. Mit wenig Aufwand kannst du dabei so viel erreichen. Solange ich selbst dazu in der Lage bin, will ich meine Muskeln gezielt stärken und meine Kraft erhalten. Was ich nicht will: der MS die Zügel über meinen Körper überlassen! 


Wer weiß schon, welche Überraschungen die MS für mich noch bereithält. Da bin ich lieber so fit wie möglich, kräftige meine Muskeln und habe auch noch Spaß dabei. Und für meine große Leidenschaft, das Tauchen, bin ich auch froh, wenn meine Kräfte dank EMS-Training noch lange reichen. 

 

Eure Nicole

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