· 

Wie viel Inklusion steckt im Tauchen?

Studien über das Tauchen mit Behinderung

Ich muss euch jetzt endlich von Petra erzählen, seit rund 12 Jahren Tauchlehrerin in München und jetzt auch für Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Nachdem Freunde sie auf meinen Blog aufmerksam gemacht hatten, schrieb sie mir eine Mail. Und schon hatte ich angebissen. Denn Petra hat sich für ihr Studium Gesundheits- und Sozialmanagement (B.A.) mit der ethischen Frage zur Inklusion des Tauchens mit Behinderung auseinandergesetzt. Also haben wir uns getroffen, über Umwege: nach mehreren Anläufen, ein Café mitsamt Parkplatz zu finden, landeten wir also in einer zugigen Bäckerei-Ecke im Supermarkt, irgendwo zwischen Ingolstadt und München.

Darum geht's in Petra's Hausarbeit

Ich fange mal ganz hinten an, nämlich beim Fazit, das Petra aus ihren eigenen Recherchen zum Thema Tauchen mit Handicap gezogen hat: Zuerst das Erfreuliche: „Alle dargelegten Studien belegen einen physischen, psychischen und sozialen positiven Aspekt.“ Petra merkt aber zugleich an, dass eine Zulassung des Gerätetauchens als therapeutische Maßnahmen weiterer Studien bedarf.

Höherer Zeitaufwand + hoher Personalaufwand = weniger Gewinn

Seitens der Tauchausbilder, Tauchschulen und barrierefreier Ausbildungsstätten gebe es zudem noch viel Arbeit in Richtung Inklusion zu leisten. Denn, so schreibt Petra, "das Tauchangebot für Menschen mit besonderen Bedürfnissen im kommerziellen Bereich ist aktuell äußerst gering." Einer der Gründe dafür liegt sicherlich im höheren Zeitaufwand und Personaleinsatz, was wiederum die Gewinnspanne der Tauchschulen schmälert. 


Zu sehen sind zwei Frauen, Nicole und Petra, vor einem Wandbild, das die Innenstadt von Pfaffenhofen an der Ilm zeigt.
Wer errät, wo wir uns getroffen haben?

„Alle dargelegten Studien belegen einen physischen, psychischen und sozialen positiven Aspekt.“

(aus der Arbeit "Die ethische Frage der Inklusion von Menschen mit besonderen Bedürfnissen beim Gerätetauchen" von Petra Witting)

Total spannend finde ich den Teil, in dem Petra einige Studien über das Handicaptauchen vorstellt. Zum einen: Es gibt zu wenig davon. Zum anderen: Die Studien, die es gibt, kommen ausnahmslos alle zu dem Schluss, dass das Gerätetauchen positive Aspekte für Menschen mit Einschränkungen mit sich bringt. Hier zwei Beispiele mit erstaunlichen Ergebnissen:


Studie zum Tauchen mit Behinderung: 1999, Landesnervenklinik Salzburg

  • Studienteilnehmer: jeweils neun Taucher und neun Segler mit Querschnittsyndrom (Vergleichsgruppe)
  • Nach zwei Wochen: signifikanter Anstieg der Lungenvitalkapazität bei den Tauchern
  • Erklärung: Durch die Gewichtslosigkeit und den erhöhten Sauerstoffpartialdruck (aufgrund des höheren Umgebungsdrucks beim Tauchen) werden sonst nur wenig belüftete Lungenabschnitte beansprucht. Das fördert die Atemmuskulatur.

Durch die Schwerelosigkeit

  • werden sensorische und motorische Fähigkeiten gestärkt
  • wird die Wirbelsäule entlastet
  • die Muskulatur gestärkt
  • können Spastiken verringert werden
  • die Herz-Kreislauffunktion gestärkt
  • die Knochendichte erhöht

Pilotstudie zum Tauchen mit Behinderung: 2007, Freiwassertauchgänge im Gardasee

  • sechs Probanden mit Querschnittlähmung ab Brustwirbelkörper 1
  • alle Studienteilnehmer litten unter teils erheblichen Spasmen und Schmerzen
  • nach sieben Tagen Freiwasserausbildung im Gardasee: deutlich weniger Spasmen, einige Probanden berichteten auch über Schmerzfreiheit 

Die neue Freiheit - Tauchen macht glücklich

Wer taucht, weiß, dass Tauchen glücklich macht. Schau einfach mal in die Augen von Tauchern, die gerade zurück von einem gelungenen Tauchgang kommen. Die strahlen mit der Sonne um die Wette! Also bei mir ist das sogar schon so, wenn ich nur übers Tauchen erzähle. Da rast mein Puls, die Mundwinkel wandern automatisch nach oben und die Augen werden feucht…. Ist wirklich so. Deshalb mache ich das Ganze hier ja auch, weil ich will, dass auch andere genau diese positiven Feelings erleben. Und wer ohnehin mit einer Behinderung oder chronischen Erkrankungen lebt, kann beim Tauchen so wunderbar all das Schwere loslassen! 

Tauchen als Therapie  - gut für die Psyche

Zurück zu Petra’s Arbeit, denn da gibt es eben noch diesen Punkt mit der Psyche, was mindestens genauso bedeutsam ist wie all das Körperliche, was das Tauchen ausmacht. Sie nennt Erfahrungen des NASDQ Tauchverbandes, die zeigen, dass Tauchen oft als erfolgreiche Therapie angewandt werden könne. Der Verband berichte von „einer Verbesserung der Koordination, des Selbstvertrauens und der Steigerung von eigenen Fähigkeiten.“

Autismus (Asperger) - kein Grund, nicht zu tauchen

Petra, „Classified Diving Instructor“, also Instruktorin für das Tauchen mit Behinderung beim Tauchverband SSI, hat selbst schon Erfahrungen mit Tauchern mit Einschränkungen gemacht, 2018 beim Schnuppertauchen mit einem autistischen 14-jährigen Jungen. „Dieser Junge hat die Ruhe unter Wasser sichtlich genossen und noch lange von dem Erlebnis gesprochen. Die Veränderung von vor dem Tauchgang und nach dem Tauchgang war auch aus Sicht der Mutter sehr positiv.“ 


Als Petra mir davon beim wärmenden Tee in der kargen Supermarktbäckerei erzählt, leuchten ihre Augen genauso, wie ich es euch gerade beschrieben habe. „Der Junge war unter Wasser phantastisch und man konnte ihm die Freude tatsächlich ansehen“, erinnert sie sich. Ja, es tut einfach gut, das eigene geliebte Hobby mit etwas so wunderbar Gutem zu verbinden.

 

Ich selbst freue mich ja wie ein Schnitzel, dass ich zum einen im Ehrenamt im Verein das NoLimits-Tauchen voranbringen darf und zum anderen mich selbst weiter ausbilden lasse, um Menschen mit Behinderung das Tauchen beizubringen und sie dabei zu begleiten. Naja, ganz ehrlich: Das Leuchten in den Augen von Tauchschülern nach dem Tauchen, egal ob mit oder ohne Handicap, motiviert ungemein!

Zu sehen sind drei PErsonen stehend vor einem Guckloch in ein SChwimmbad. Alle drei halten ihre rechte HAnd mit dem Okay-Zeichen für Taucher hoch, ZEigefinger und Daumen zu einem O geformt.
Petra Witting (Mitte) mit den frisch zertifizierten Classified Dive Buddys Tanja und Christian
Zu sehen ist ein Mann in einem Neoprenanzug, der einen Atemregler an eine Tauchflasche montiert. Der Mann hat die Augen mit einem Tuch verbunden.
Teil des Kurses zum Classified Diver Buddy: Christian als "blinder" Taucher beim Zusammenbau des Tauchequipments

Danke, liebe Petra, für unser tolles Gespräch und dein Engagement, das Tauchen für Menschen mit besonderen Bedürfnissen voranzubringen. Ich freue mich schon darauf, mit dir im Echinger Weiher abzutauchen. 

 

Inzwischen hat Petra einen Divemaster und eine Rescue Diverin zu Classified Dive Buddys ausgebildet – somit erweitert auch Tauchsport Gläßer in München sein Angebot für Menschen mit Behinderung. Wieder ein Schritt in die richtige Richtung, hin zu mehr Inklusion beim Tauchsport!

zu sehen ist das Logo von Tauchsport Gläser: ein roter Ring, darin die aufschrift www.tauchsport-glaesser.de und in der Mitte eine Zeichnung von einem TAucher im organenen Anzug, der von einer Krake umarmt wird

 

Bitte mehr davon!

Eure Nicole


zu sehen ist oben ein Bild von einem Tauchcenter, Blick von außen auf das GEschäft und darunter ein Bild in einem SChwimmbad mit dem Text: Handicap-Instructor 17./19.3.2023 auch für Tauchlehrer*innen anderer TAuchsportorganisationen
mit freundlicher Genehmigung von Thomas Kromp - Executive Director beim NASDS

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    A. Werner (Samstag, 11 März 2023 09:49)

    Danke für diesen ermutigenden Artikel.
    Mein 13jähriger Sohn möchte so gerne das Tauchen erlernen, der Tauchclub vor Ort hat für seine Bedürfnisse aber keine Tauchlehrer. Wir sind vorerst zum Schnuppertauchen eingeladen.
    Wir schauen mal wie es läuft. Ihr Beitrag bestätigt mich darin, es auf jeden Fall zu versuchen.
    Viele Grüße

    A. Werner